DIE ALWEG VISION AKTUELL




Als auf Dr. Wenner-Grens Initiative hin 1951 das ALWEG-Versuchsgelände in Fühlingen und ALWEG-Büros in der Kölner Innenstadt eingerichtet wurden, lagen noch viele Teile der Stadt in Trümmern. Es mutete wie ein utopisches Unternehmen an, ausgerechnet in jener Zeit, in der es in Deutschland um schnellen Wiederaufbau von Wohnungen und Industrieanlagen ging, ein Verkehrssystem entwickeln zu wollen, dass herkömmliche und ausgereifte Zweischienenbahnen verdrängen sollte.

Immer wieder hatte es in der Geschichte der Verkehrstechnik Vorschläge für Einschienenbahnen gegeben, doch mit Ausnahme der interessanterweise ebenfalls in Köln entwickelten Wuppertaler Schwebebahn (die eine Hängeeinschienenbahn ist) erschienen diese Entwürfe meist derart verwegen, dass das Prinzip Einschienenbahn gerne in den Bereich spinnerter Erfindungen verwiesen wurde. Dieser negative Ruf und das durch die Disney-Alweg-Bahn später noch entstandene Etikett „Vergnügungsparkbahn“ ermöglichte es der Zweischienenkonkurrenz der Firma ALWEG, das Prinzip Einschienenbahn als eine eher unseriöse und unerprobte Angelegenheit darzustellen. Hinzu kam die ohnehin immer große allgemeine Skepsis gegenüber etwas Neuem.

Die Berichterstattung der Presse half der ALWEG-Bahn auch nicht, denn oft genug waren in den 1950er Jahren zwar positiv klingende Artikel zu lesen, doch waren sie mit futuristischen Zeichnungen illustriert, die zeigten, wie zum Beispiel eine rasende Raketenbahn auf einer dünnen Leitschiene in schwindelnder Höhe durch Großstadtschluchten fegte. Das waren Bilder, die nicht vermuten ließen, dass diese mysteriöse ALWEG-Bahn eine bequem und leise auf Gummireifen fahrende Schnellbahn war.

So war es das Hauptproblem der Firma ALWEG, die Öffentlichkeit von den Vorzügen ihres Bahnsystems zu überzeugen. Dies konnte nur mit einer tatsächlich verkehrenden Bahn erreicht werden. Als in Seattle 1962 der erste ALWEG-Zug seine Probefahrten erfolgreich absolviert hatte, wurden erste Publikumsfahrten durchgeführt. Staunend liest man heute die Presseberichte darüber, in denen immer wieder die Beschreibung „lautlos gleitend“ auffällt. Für die ALWEG-Ingenieure gab es einen Wermutstropfen, denn schon bald stellte sich eine „Kinderkrankheit“ ein, die Kritikern Anlass zur Freude gab. Die Fahrbalkenübergänge waren mit sogenannten „Fingerplatten“ aus Stahl versehen, um die minimalen Dehnungsabstände zwischen den einzelnen Balken zu schließen. Beim Überfahren klapperten diese Platten und schon machten Einschienenbahnkritiker aus dieser eigentlich leicht behebbaren Sache einen Riesenradau. Es war übrigens die einzige schwerere „Kinderkrankheit“ der Seattle ALWEG-Bahn. Nicht umsonst sind die beiden Züge noch heute unermüdlich im Einsatz!

Was der Firma ALWEG ganz eindeutig fehlte, war das, was man heute Public Relations nennt. Der erfolgverwöhnte Dr. Wenner-Gren war zudem kein allzu geduldiger Mensch und langwierige Genehmigungskämpfe mit Stadtverwaltungen passten nicht in sein Weltbild. Er hatte über 20 Millionen Mark zur Verfügung gestellt und er war es gewohnt, dass solche Summen schnelle Resultate ergaben. Sein direktes Engagement ließ – auch altersbedingt – nach und bei der Firma ALWEG begann bald eine Personalpolitik, die man in Amerika früher so treffend mit der Floskel „zu viele Häuptlinge und nicht genug Indianer“ beschrieb. Außerdem waren hochspezialisierte Techniker äußerst selten auch gute Public Relations-Fachleute.

Stadtbahn-Projekte gab es für ALWEG in vielen Städten, doch überall setzte sich die „Zweischienen-Lobby“ durch. Böse Zungen verwiesen gerne darauf, dass für die Steuerzahler der Bau einer Einschienebahn zwar wesentlich günstiger, doch für die Bauindustrie eine Zweischienenbahn, möglichst unterirdisch, wesentlich lukrativer sei. ALWEG-Bahnen als kostengünstige, in kürzester Zeit erstellbare Flughafenbahnen (siehe Japan) oder Zubringerbahnen für großzügig geplante Neubaugebiete wären ideale Projekte auch im engen Europa gewesen. Doch in den meisten Metropolen verschiebt man solche Projekte lieber von Stadtratswahl zu Stadtratswahl, setzt Busse ein und verspricht S- oder U-Bahnstrecken, die nie oder selten Wirklichkeit werden. Die Pläne idealistischer Architekten für neue Städte mit Lebensqualität sind alte Dauerthemen für Politikerreden und Stadtplanerseminare. Man ist stolz, wenn man Lärmschutzwände aus Beton von teuren Farbharmonikern streichen lässt, doch für mehr Innovation in Sachen ästhetische Technik hat man weder Zeit, noch Geld, - noch Sinn!

Selbst der Umweltschutzgedanke war schon Teil der Vision des Dr. Wenner-Gren gewesen, dessen ALWEG-Bahn mit sauberer Energie betrieben und mit leisen Gummireifen auf Beton angetrieben werden sollte. Kritiker reden davon, dass Stahl auf Stahl effizienter sei als Gummi auf Beton, doch darüber streiten die Experten. Und merkwürdigerweise werden dennoch statt Bahnen mit „Stahl auf Stahl“, weiterhin Autobahnen für immer mehr „Gummi auf Beton“ gebaut. Eine Vision, die den Dr. Wenner-Gren schon ganz zu Beginn der Motorisierungswelle geängstigt hatte.

Es ist erstaunlich, dass in Japan der Hitachi-Konzern, der mit seinen berühmten konventionellen Hochgeschwindigkeitszügen, die Vorbild für TGV und ICE waren, zugleich auch erfolgreich Einschienenbahnen, basierend auf dem ALWEG-System, baut. Hitachi produziert auch konventionelle Nahverkehrszüge, fürchtet aber keinen Nachteil für deren Erfolg durch die eigenen Einschienenbahnen. Als in Seattle wieder die Rede von einer möglichen Erweiterung der ursprünglichen ALWEG-Strecke war, kamen sofort Hitachi-Techniker nach Seattle und boten innovationsfreudig ihre Hilfe an. Während sie das zähe Gerangel in Seattle beobachteten, bauten sie währenddessen Einschienenbahnen in Japan, Singapur und China weiter.

In Las Vegas war im Sommer 2000 beschlossen worden, eine ausgedehnte Einschienenbahnstrecke – basierend auf ursprünglicher ALWEG-Technik – zu bauen. Aus Gründen, die Dr. Wenner-Gren freuen würde, denn in Las Vegas soll zum Beispiel der Autoverkehr dadurch erheblich reduziert werden. Schnittige moderne Einschienenbahn-Züge verbinden dort mittlerweile leise surrend und schnell die wichtigsten der gewaltigen Hotels und Kasinos miteinander. Las Vegas wird jährlich von vielen Millionen Menschen besucht. Las Vegas ist derzeit noch immer keine typische "Wohn-Metropole", aber mit ein bisschen Phantasie ist nicht auszuschließen, dass im Zuge der neuesten Industrierevolution, die wie von Dr. Wenner-Gren schon vorausgesagt, totale Automation beschert, eine Stadt wie Las Vegas die wahre Stadt der Zukunft sein wird.

Eventuell noch zukunftsweisender aber wird das neue Dubai werden, wo großzügig eine neue Stadt des 21. Jahrhunderts entsteht. Zu den modernen Verkehrsmitteln dieser urbanen Vision gehört denn auch eine von der Firma Hitachi gelieferte Einschienenbahn vom Typ Alweg, die das Zentrum mit der künstlichen Insel Palm Jumeirah verbindet. Im Frühjahr 2009 soll diese Bahn in Betrieb gehen (deren erste Züge dort bereits in der Erprobungsphase eingefahren werden).




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